Der Kulturkampf der Begriffe
Wir erleben einen Kulturkampf der Begriffe. Zwei konträre Milieus ringen um die Definitionsmacht, um die Macht über unsere Worte, unsere Begriffe, unser Denken. Wer seine Vorstellung nicht mehr aussprechen darf, dessen Denken wird in der Öffentlichkeit nicht mehr begriffen.
Das kulturmarxistisch geprägte linke Lager hat sich die Massenmedien angeeignet, vor allem die öffentlich-rechtlichen. Jede parteipolitische Absonderung linker Herkunft wird dort begierig aufgenommen und verbreitet, zum Beispiel Phrasen wie Gerechtigkeitslücke, neue Armut oder Klimaleugner. Man ist durch linksradikale Politologen bis in die Herzkammer der Demokratie vorgestoßen, den Verfassungsschutz. Begriffe wie Umvolkung oder Bevölkerungsaustausch stehen unter Verdacht.
Worte und Begriffe beschreiben, wie ein Mensch Wirklichkeit erlebt. Das bürgerlich-konservative Lager ist mehrheitlich ahnungslos oder überrascht. Es läßt sich einen Begriff nach dem anderen wegnehmen und mit ihm seinen Anspruch, soziale Wirklichkeit zu gestalten. Weggenommen wird ein Begriff durch Tabuisierung. Sie kann auf vielen Ebenen erreicht werden.
Der in der CSU geprägte Begriff Asyltourismus beschreibt eine konkrete Beobachtung. Er bringt ein bestimmtes Geschehen auf den Begriff. Das dahinter stehende Denken wird angegriffen, indem erst medial gegen den Begriff gehetzt wird. Später wird er zum „Unwort“ erklärt, schließlich tabuisiert. Wer ihn noch benutzt, stellt sich ins „gesellschaftliche Abseits“. Es ist das Abseits derselben ehrenwerten Gesellschaft, die 1968 ihren Marsch durch die demokratischen Institutionen begonnen hatte, jetzt in den Chefsesseln sitzt und so intolerant ist wie je eine geistig totalitäre Bewegung vor ihr.
Die Ultima ratio der Tabuisierung ist das Strafrecht. Wer zum Beispiel die Volkswirtschaft mit einem Organismus vergleicht und das Wort Sozialschmarotzer auf eine in Deutschland lebende Bevölkerungsgruppe anwendet, kann wegen Volksverhetzung angeklagt werden.
Die neomarxistische Linke setzte schon früh auf das
„Entwenden“ und die Umdeutung von Begriffen, um über den Moment der dadurch ausgelösten Entfremdung eine neue Sicht auf gesellschaftliche Zusammenhänge herbeizuführen. Der antiautoritäre Flügel des SDS setzte es 1966 in der Plakataktion „Erhard und die Bonner Parteien unterstützen Mord“ ein. Er übertrug den Strafrechtsbegriff auf Regierungshandeln und provozierte damit die Öffentlichkeit und den SDS.
Anonymus, Magie der Träume. Was die 68-er Bewegung heute bedeutet, taz 5.4.2018.
Kulturrevolution …
Worte, Vorstellungen, Veranstaltungen und Institutionen wurden von der Linken in ihrem revolutionären Sinne „umfunktioniert.“ Dabei handelten sie in guter sozialistischer Tradition. Stalin hatte sie begründet und Hitler nachgeahmt. In einer Presseanweisung vom 22.10.1936 hieß es aus dem Reichspropagandaministerium:
„Es muß immer wieder festgestellt werden, daß in der deutschen Presse noch Nachrichten und Schilderungen erscheinen, die geradezu von einer selbstmörderischen Objektivität triefen und in keiner Weise verantwortet werden können. Man will keine Zeitungsgestaltung im alten liberalistischen Sinne, sondern will, daß jede Zeitung mit den Grundsätzen des nationalsozialistischen Staatsaufbaues in eine Linie gebracht wird. So ist es untragbar, wenn Sowjetgrößen, die Juden sind, als Arbeiter bezeichnet werden.“[1]
Der Begriff Arbeiter löste nämlich eine positive Assoziation aus, weil sich die Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei selbst ausdrücklich als eine Partei der Arbeiter verstand. Diese durften keinesfalls mit etwas Negativem in Verbindung gebracht werden, Arbeiter waren sakrosankt, und Juden so zu bezeichnen tabu.
Wie George Orwell erkannte, geht es immer um die Veränderung der beim Hören eines Worten hervorgerufenen Assoziationen. Viele herkömmliche Worte und Begriffe wurden in ihrem Sinn und Bedeutungszusammenhang durch eine Art staatlich kontrolliertem „Neusprech“ „unmerklich verändert“, wodurch sie „die meisten ihnen sonst anhaftenden Gedankenverbindungen verloren.“[2]
Dieser Zusammenhänge ist sich der Linksextremismus stets bewußt geblieben:
Wie Ludwig Wittgenstein uns lehrt, sind Wörter keine Fenster zur Welt, sondern Wörter konstruieren Welt, sie strukturieren unsere Gefühle, unsere Sinne, unsere Selbst- und Fremdwahrnehmung. »Denn, wie wir sprechen, entscheidet darüber, wer wir sind«“, bemerkt Robert Habeck in seinem lesenswerten Essay ‘Wer wir sein könnten’. In der Politik folgt der Sprache das Handeln.[3]
Bruno Heidlberger, Konservative Kulturkritik und die Politik der Spaltung. Über Hypermoral und sprachliche Verwirrspiele. 18.2.2020.
Seine Herrschaft stützt sich darum wesentlich auf die Macht über die Massenmedien. In ihnen haben die Systemveränderer von 1968 ihr Eldorado gefunden. Sie lassen sich zum Beispiel beraten von Elisabeth Wehling, die der ARD 2017 ein Framing-Manual schrieb. Ein Studienschwerpunkt der Linguistin und Soziologin Wehling war die nationalsozialistische Propaganda. Sie hat viel aus ihr gelernt. Es geht um die unterschwellige Beeinflussung der Massen. Sie sollen in ihrem Denken und Fühlen stramm auf sozialistischen Kurs gebracht werden.
Die ARD-Beraterin denkt kollektivistisch. Während einer Liberaler seufzen würde, dem Staat Steuern zu zahlen, denkt Wehling vom Kollektiv her. Sie empfiehlt, wir sollten nicht mehr davon sprechen, dem Staat „Steuern zu zahlen“, sondern „Beiträge leisten“. Es bezieht sich nämlich immer „auf ein Kollektiv“, gemeinsam zu etwas „beizutragen.“ Die
„Semantik des durch zahlen erweckten Frames impliziert keine kollektive Unternehmung, sondern schlicht eine Transaktion zwischen Käufer und Verkäufer. Der Frame impliziert weder eine Gemeinschaft und Verbundenheit, noch ein kollektives Handlungsziel. Wendet man das Konzept nun auf den Staat an, so läßt es ihn als eine von den Bürgern getrennte Entität erscheinen.“
Elisabeth Wehling, Politisches Framing, Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht, 2018, S.105, 107.
Der „kollektive Handlungszweck“ werde ausgeblendet.[4]
… und Gegenrevolution
Ausgerechnet alt-68er Linke wie Heidlberger, die selbst die traditionellen Werte und Begriffe umfunktioniert hatten, jammern heute über Konservative, die ihnen die Methoden abgeguckt haben und gegen sie wenden. Die 68er-Kulturrevolution hatte eine kulturmarxistische Umpolung aller Begriffe unternommen. Die schon laufende konservative Gegenrevolution entreißt sie ihnen wieder. Heidlberger polemisiert vergebens gegen von Konservativen verwandte Begriffe:
Unehrliche Politik beginnt immer mit der Sprache. Dann verwandelt sie sich in Propaganda. Sie wirkt wie eine fremde Invasion und schleicht sich in unser Gemüt, in unsere Gespräche, in unsere Gedanken und zerstört deren Klarheit. Oft ist es eine oft gehörte Erzählung, die den Tatsachen scheinbar Sinn verleiht, so beispielsweise die Erzählungen vom „Volks-Tod“, der „Einwanderung“ in die Sozialsysteme, dem „Unrechtsstaat“, von „Klimareligion“, „grüner Verbotspartei“, „Öko-Faschismus“, dem „links-rot-grün-versifften 68er-Deutschland“ oder der „Hypermoral“.
Bruno Heidlberger, am angegebenen Ort.
Ja, mit Propandasprache, die sich ins Gemüt schleicht, kennen Alt68-er sich gut aus: sie haben sie zwar nicht erfunden, aber übernommen. Gegen das Demokratieverständnis des Grundgesetzes hatten 68er das sozialistische, kollektivistische Erbe von Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao gewandt. Die Grundwerte der Freiheit und der Demokratie verstanden sie nur im Rahmen ihrer Ideologie. Sie hielten unsere Demokratie für ein kapitalistisch-faschistisches Syndrom. Darum handelten sie nach der Devise:
„Jede Strategie der Überwindung eines Herrschaftssystems muß mit seiner Delegitimierung beginnen. Hauptwaffe ist der Tabubruch. Er ist der erste Schritt zur nötigen Umwertung der Werte. Diese beginnt mit dem gezielten Lächerlichmachen der gegnerischen Ideologeme, soweit diese nicht angeeignet und umgepolt werden können wie z.B. das Demokratieprinzip.“
Klaus Kunze, Wege aus der Systemkrise, in: Andreas Molau, Opposition für Deutschland, 1995, 202 ff. (216).
Das meinte der zum Kanzler gewählte Willy Brandt, mit Demokratie fange man jetzt erst richtig an. An die Stelle früherer geistiger Freiheit ist seitdem ein rabiat verteidigter linker Konformismus und Egalitarismus getreten. Mit kollektivistischem Moralismus werden die Bastionen der zu Rang und Würden aufgestiegenen Alt-68er und ihrer Epigonen verteidigt.
Die Usurpierung von Begriffen durch die 68-er Kulturrevolution und ihr moralistischer Mißbrauch gehören zu den ausgefeilten Herrschaftstechniken des Sozialismus seit der Revolution von 1789 und der Oktoberevolution von 1917. Ihr kann nur mit verbaler Subversion begegnet werden. Diese ist eine Abwehrwaffe in dem Kulturkampf, den der Linksextremismus seit 50 Jahren gegen die bürgerliche Gesellschaft und ihre konservativen Denker führt.
Deren Aufgabe ist ein intellektueller Gegenentwurf, der den alten Begriffen wieder ihren ursprünglichen Sinn verleihen wird. Altlinke Kader haben in den Medien, der Politik und den Gesellschaftswissenschaften unermeßlichen Flurschaden angerichtet und mit den alten Begriffen auch alte Gewißheiten zerstört: sozialistische Heilsgewißheit trat anstelle der Gewißheit dessen, was zwischenmenschlich immer gilt. Heute gilt es, aus dessen Trümmern eine Zukunft zu schaffen, deren Erhaltung sich lohnt.
[1] Walter Hagemann, Publizistik im 3. Reich, Hamburg 1948, S.32, hier zit. nach Poliakov / Wulf, S.440.
[2] George Orwell (1950 / 1984), S.277.
[3] Bruno Heidlberger 18.2.2020.
[4] Wehling (2018), S.105, 107.