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Der Ernstfall der Politik

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Der Ernstfall der Politik

von Gereon Breuer

Ex: http://blauenarzisse.de

Der Theologe Wolfgang Spindler erklärt in einer aktuellen Schrift sehr erhellend die politische Theologie Carl Schmitts, die man nur durch seine Frühschriften verstehen könne.

Wer begreifen will, welcher Zusammenhang für den „umstrittenen“ Carl Schmitt zwischen Theologie und Politik bestand, der muss tief in dessen Werk eintauchen. Gerade in seinen Frühschriften finden sich viele Spuren dessen, was er für theologisch in der Politik hielt. Ernstfall sei sie immer, denn nur, wo sie konkret werde, da könne sie stattfinden. Eine reine Idee der Politik lehnte Schmitt ab. Wolfgang Spindler, Dominikanerpater und intimer Kenner der Werke Schmitts, leistet mit seiner Schrift „Die Politische Theologie Carl Schmitts“ hier einen produktiven Zugang. Die politische Theologie erkennt er in Schmitts Werk in mindestens zwei Dimensionen. Zum einen gibt es dort die Schrift mit dem gleichen Namen aus dem Jahr 1922– das ist die erste Dimension. Ohne den Kontext der anderen Frühschriften bleibt sie aber unverstanden – das ist die zweite Dimension.

Souveränität existiert nur in der konkreten Anwendung

Als zentralen Begriff in der „Politischen Theologie“ macht Spindler die Souveränität aus. Bereits im ersten Satz der Schrift ist sie als bedeutendes Thema benannt: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“ Eine derart verstandene Souveränität kann ebenfalls nicht Idee bleiben. Sie kann nicht als Schema der Theorie existieren, sondern nur in ihrer konkreten Anwendung. Diese Anwendung, so legt Schmitt dar, hat sich bis zu ihrer politischen Praxis in der Demokratie wesentlich verändert. So sei der Fürst vor der Französischen Revolution der auf die politische Welt übertragene cartesianische Gott gewesen.

In der Demokratie der Moderne habe sich die Menschheit aber nicht nur an die Stelle des Fürsten, sondern an die Stelle Gottes gesetzt. Hierin erkennt Spindler einen wesentlichen Punkt, der die politische Theologie Schmitts als Kritik an der Demokratie lesbar macht: „Gott und Staat sind nicht an sich selbst gebunden, sondern beweisen in der Ausnahme ihre Überlegenheit über ihre eigenen Gesetze.“

Auch Gott ist Demokrat

Diese Überlegenheit wird dann problematisch, wenn sie demokratisch und damit durch Mehrheitsverhältnisse verhandelbar ist. Schmitt sieht aber noch ein weiteres Problem: „Das metaphysische Bild, das sich ein bestimmtes Zeitalter von der Welt macht, hat dieselbe Struktur wie das, was ihr als Form ihrer politischen Organisation ohne Weiteres einleuchtet.“ Das bedeutet nicht nur, dass in der Moderne Gott zum Demokraten geworden ist, sondern das bedeutet auch, dass der Mensch als so außerordentlich gut angenommen wird, dass niemand erwartet, dass er die Möglichkeiten der Demokratie nutzen wird, um die ihm dadurch gegebene Überlegenheit über eigene Gesetze zum Nachteil anderer auszunutzen. Wie Spindler – als Theologe mit der Erbsünde gut vertraut – richtigerweise feststellt, ist das nicht nur falsch, sondern extrem gefährlich. Er sieht darin die Legalität als Mythos begründet: „Sie ist die Politische Theologie der Moderne, insofern sie beansprucht, den Geltungsanspruch der politischen Ordnung allein rational-​argumentativ zu rechtfertigen.“

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Der Mensch als Ernstfall

Wie für den Theologen Spindler war auch für den Juristen Schmitt die Ratio nie die allein ausschlaggebende Kraft. Der „katholische Impuls“ war und ist Spindlers Meinung nach bei den Schriften Schmitts immer spürbar. Das gilt nicht nur für „Römischer Katholizismus und politische Form“, in der Schmitt deutlich macht, dass die Kirche immer auch eine politische Machtform besitzt, die sie grundsätzlich als „complexio oppositorum“ ausübt. Zu ihrem Wesen gehöre es, über „eine spezifisch formale Überlegenheit über die Materie des menschlichen Lebens“ zu verfügen.

Der Ausnahmezustand der Kirche ist also quasi der Mensch. Er ist ihr Ernstfall. Eine entsprechende Überlegenheit kann und will Schmitt in der Politik nicht erkennen, obwohl auch dort der Mensch im Zentrum des Handelns steht. Trotzdem werde dort im Ausnahmefall die Norm durch die Entscheidung vernichtet und der Staat habe so immer ein Instrument in der Hand, das Recht zurückzudrängen. Schmitt sieht darin die problematischste Eigenschaft der Legitimität.

Der schädliche Glaube an die Diskussion

Wie Spindler an vielen Stellen seines Werkes deutlich macht, ging es Schmitt niemals darum, in den beiden Dimensionen der „Politischen Theologie“ die Politik zu theologisieren oder die Kirche zu politisieren. Vielmehr sei es sein Anliegen gewesen, in der Gegenüberstellung beider Ordnungssysteme die Defizite der Politik herauszustellen. Das zeige sich besonders deutlich in Schmitts kritischer Haltung gegenüber dem Parlamentarismus, wie sie sich prägnant in „Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus“ von 1923äußere. In dieser Schrift macht Schmitt deutlich, dass Parlamentarismus und Demokratie nicht notwendigerweise zwei Seiten einer Medaille sein müssen, wie sich das nach 1945 durchgesetzt hat.

Der „Glaube an die Diskussion“, wie er für den Parlamentarismus prägend sei, habe seinen Ursprung keineswegs in der Demokratie, sondern im Liberalismus. Denn die Demokratie sei immer ohne politischen Inhalt und lediglich eine Organisationsform. Die Ursache für Schmitts Liberalismuskritik resultiert Spindler zufolge vor allem aus der Abneigung gegenüber dem „ewigen Gespräch“, das der Liberalismus im Parlament als Institution der Demokratie installiert habe, wodurch die Wahrheit zur „bloßen Funktion eines ewigen Wettbewerbs der Meinungen“ degradiert worden sei. Alles und wirklich alles habe der Liberalismus so für die parlamentarische Diskussion frei gegeben.

Politik als diskursive Kraft

Schmitt konstatiere schließlich im historischen Zusammenhang „eine Abwärtsentwicklung der politischen Theologie: von der Transzendenz zur Immanenz, von der Person zur Mehrheit, von der Dezision zur Diskussion“. Angesichts dessen, wie sich der Versuch der Ernstfallbewältigung durch die Politik derzeit darstellt, ist diese Feststellung aktueller denn je. Ob Flüchtlingskrise, Eurokrise oder ein beliebiger kriegerischer Konflikt – überall zeigt sich die Politik als diskursive und nicht als dezisionistische Kraft. Es erscheint fast so, als wolle die Politik eine tätige Auseinandersetzung mit dem Ernstfall bewusst verhindern. Ihre Vertreter meiden die Entscheidung, weil ihr Glaube selbst politisch geworden ist: „Sie ‚glauben’ jetzt eben an das legalistische System, an den parlamentarischen Geist oder eine andere Ersatzmetaphysik. Hierin kommt ein irrationales Element zum Vorschein.“ Carl Schmitt empfiehlt sich hier trotz aller Widersprüche in seinem Werk als geeignetes Gegengift, das Spindler mit seiner Schrift ausdrücklich empfiehlt.

Wolfgang Spindler (2015): Die Politische Theologie Carl Schmitts, Kontext – Interpretation – Kritik. disserta Verlag, Hamburg, 124 Seiten, 44,99 Euro.


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